30. 12. 2019 Blog

Sieh mir in die Augen!

Was ist der Unterschied zwischen einem Gespräch und einem Online-Text? Im Gespräch verpflichten uns gesellschaftliche Gepflogenheiten, nicht mittendrin wegzugehen. Bei einer Webseite hingegen haben die wenigsten solche Skrupel.

Ein Text, der auf einer Webseite auf Leser wartet, ist also idealerweise so beschaffen, dass er die Aufmerksamkeit von alleine hält – Ablenkung gäbe es schließlich genug. Das ist aber nicht alles, denn in der Regel soll der Leser am Ende ja auch zum Handeln bewegt werden.

Moment, das hört sich ja wie Hypnose an! Und das ist es auch: So, wie sich eine hypnotisierte Person hinterher nicht daran erinnert, dass auf sie eingewirkt wurde, so beeinflusst der ideale Verkaufstext Denken und Handeln so subtil, dass der Leser es nicht merkt. Klingt nach Manipulation? Ist es auch. So wie jede Form von Werbung.

Übrigens: Früher war diese Kunst unter dem Namen „Rhetorik“ bekannt…

 

Sieh mir in die Augen!

In Film, Fernsehen und Comic wirkt Hypnose ganz einfach: Ein bisschen mit der Taschenuhr vor dem Probanden pendeln, schnippen, fertig. Dass es in Wirklichkeit nicht so einfach ist, ahnen wir schon – zumal ein Text keine Pendel schwenken kann. Tatsache ist: Kein Mensch handelt unter Hypnose auf eine Weise, die ihm im wachen Zustand zuwider wäre.

 

Ziel der Hypnose ist es, die Aufmerksamkeit eines Menschen zu umgehen und sich direkt an sein Unterbewusstsein zu wenden. „Klassische“ Hypnose erreicht dies, indem sie den Probanden in einen tranceähnlichen Zustand versetzt. Ein hypnotischer Text hingegen muss Formulierungen und Begriffe einsetzen, die nicht augenscheinlich manipulativ sind, aber dennoch eine Wirkung haben.

 

Eine Flut an Assoziationen

Viele Texte haben hypnotische Züge. Lesen Sie diese Szene… „Die an den Strand rollenden Wellen erzeugten das einzige Geräusch, das die brütende Hitze durchdrang. Der salzige Geruch des Meeres lag in der Luft, allgegenwärtig und schwer.“

…dann haben Sie automatisch ein Bild im Kopf. Vermutlich hören Sie sogar die Wellen, obwohl das Geräusch als solches überhaupt nicht beschrieben wurde.

 

Obgleich Texte ein rein visuelles Medium sind (abgesehen von Brailleschrift), können sie dennoch alle Sinne aktivieren – rein über Assoziationen. Worte wie „scharf“, „kalt“ oder „rau“ wecken sofort entsprechende Sinneswahrnehmungen. Möchten Sie jemandem einen Kaffee verkaufen, sagen Sie also nicht einfach, dass er lecker ist – beschreiben Sie den Duft des Getränks, die dunkle Farbe und schließlich das Aroma! Sorgen Sie dafür, dass der Leser den Kaffee im Geiste bereits trinkt, zieht der Körper fast automatisch nach.

 

Über die Überschrift

Beim Lesen – print oder online – neigt unser Auge dazu, zuerst die Überschriften abzuklappern. Warum? Weil es faul ist und nicht mehr lesen will als das wirklich Wichtige. Und Überschriften sind eine gute Möglichkeit, Inhalte im Vorfeld zu identifizieren. Das heißt nicht, dass eine Überschrift das Blaue vom Himmel versprechen darf. Stolpert der Leser zum Beispiel über 10.000 Euro, die ihm für seine linke Socke zugesagt werden, so erwartet er, im Anschluss mehr zu dieser neuen Verdienstmethode zu erfahren. Ist das nicht der Fall, reagiert er mit Unwillen – und hört möglicherweise auf zu lesen.

Gute Voraussetzungen

Nicht nur das Auge, auch der Verstand ist faul: „Wann ist Ihnen klargeworden, dass der neue Tarif genau richtig für Sie ist?“ Eine solche Frage nennt man eine Präsupposition, nach dem lateinischen Begriff für „Voraussetzen“. Hier ist das zentrale Element gar nicht Gegenstand der Frage, sondern wird bereits als gegeben behandelt.

 

Präsuppositionen finden gut Eingang in das Unterbewusstsein. Findet sich in einem Prospekt eine Frage wie „Ist dieser Tarif genau richtig für Sie?“, ist unser Verstand rasch mit der Antwort „Nein!“ zur Hand. Die Frage „Und wie sieht ihr persönliches Tarif-Paket aus?“ lässt sich jedoch nicht mit „Nein“, „Ja“ oder einer ähnlich knappen Antwort abhandeln. Daher verweilt sie länger im Unterbewusstsein – und wirkt länger nach.

 

Man kann eine Präsupposition übrigens auch als Aussage formulieren. „Wir freuen uns über Ihr Interesse am neuen Tarifangebot“ oder „Sie profitieren schon jetzt von Ihrem individuellen Tarif“ setzen ebenfalls voraus, dass der neue Tarif schon in trockenen Tüchern ist.

 

Deine Wenigkeit

Dass eine Präsupposition den Leser direkt anspricht, ist ein weiterer Vorteil, denn der Verstand ist auch egozentrisch. Je öfter in einem Text von „Ich“ die Rede ist – im Sinne von „Ich habe mir ein tolles Angebot ausgedacht, auf das ich sehr stolz bin“ – desto weiter sinkt die Bereitschaft des Lesers, sich weiter damit zu beschäftigen.

 

„Freuen Sie sich auf Ihr neues Angebot und die Gewinne, die Sie erwarten!“, das ist eine Story, die den Leser in den Mittelpunkt stellt. Also halten Sie sich beim Texten zurück und überlassen Sie ihm die Bühne. Dabei können Sie auch wieder mit Assoziationen und Präsuppositionen arbeiten: „Belohnen Sie sich für Ihre Entscheidung – wie wäre es mit einer duftenden Tasse Kaffee?“

 

Fazit

Das sind natürlich nicht alle Elemente eines hypnotischen Textes – und ein Text wird nicht automatisch hypnotisch, nur weil diese Elemente verbaut sind. Wie immer gilt, dass die richtige Mischung entscheidend ist, und die kommt nur mit Erfahrung.